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Die 80% zu Mitbetroffenen machen

An der 105. Delegiertenversammlung von Pro Infirmis im Kongresshaus Biel durfte ich als Berner Grossrätin einige Begrüssungsworte an die Gäste richten.

Wenn wir, die 20% Menschen mit Behinderung, die restlichen 80% zu Mitbetroffenen machen, wird Inklusion gelingen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Mesdames et Messieurs, herzlich willkommen im Kanton Bern, soyez les bienvenus à Bienne, la capitale suisse du bilinguisme

Ich freue mich sehr, heute ein paar Begrüssungsworte an Sie zu richten. Und ich freue mich ganz besonders, dies in Biel zu tun. «Biel, die Stadt der Möglichkeiten.» «Biel, die mutige Stadt, die aus ihrer Vielfalt schöpft.» Das sind zwei Zitate aus der Strategie Biel 2030. Ich finde, sie passen ganz gut zu Pro Infirmis. Mit der Kampagne «Gewöhn dich dran!» beweist Pro Infirmis Mut. Mut aus der Mitleidsecke hervorzukommen, zu sagen, wir Menschen mit Behinderung gehören dazu, ob’s dir passt oder nicht! Mit der Kampagne «Gewöhn dich dran!» ist auch die erste Behindertensession der Schweiz untrennbar verbunden. Das Bundeshaus strotzte vor Vielfalt. Und das soll es nicht nur während der Behindertensession tun, sondern während jeder Session. Die Behindertenliste für die nationalen Parlamentswahlen im Herbst 2023 taten uns Kandidierenden mit Behinderung Möglichkeiten auf. Pro Infirmis, die Behindertenorganisation der Möglichkeiten. Pro Infirmis, die mutige Behindertenorganisation, die aus ihrer Vielfalt schöpft.

Nicht im Bundeshaus, sondern im Rathaus Bern darf ich seit gut zwei Jahren als Kantonsparlamentarierin im Grossen Rat unseren Kanton Bern mitgestalten. Zum Ratssaal führt eine lange Treppe. Dieses Hindernis musste einst auch der Bieler Anwalt Marc F. Suter überwinden – viele von Ihnen mögen ihn als FDP-Nationalrat und Vater der Volksinitiative «Gleiche Rechte für Behinderte» in Erinnerung haben. Wegen ihm wurde ein Treppenlift eingebaut. Und ein solcher führt auch heute noch zum Ratssaal.

Seit meinem ersten Tag als Grossrätin, ist der Treppenlift nicht nur bei mir Thema, sondern auch bei meinen Ratskolleg:innen. Erst war der Tenor: «Kann man den nicht schneller machen?» Aber auch wenn er doppelt so schnell wäre, wäre er immer noch 10x langsamer als ein Personenlift. Und einen solchen brachte ich immer wieder ins Gespräch – auf dem Treppenlift, nicht im Ratssaal. Ich bin nicht die Person, die nach eigenen Vorteilen sucht. Ein Personenlift müssen andere fordern – nicht ich. Und das geschah vor einem halben Jahr dann auch. Ratskolleg:innen aus allen Fraktionen haben die Motion mitunterzeichnet. Die Antwort des Regierungsrates war ernüchternd: Brauchen wir nicht, viel zu teuer, wegen Denkmalschutz unmöglich, wollen wir nicht. Punkt!

Am 6. Juni war es dann soweit. Der Grossrat hat die Motion ohne Gegenstimme überwiesen. Ich twitterte dazu: «Eindrücklich, was alles möglich ist, wenn plötzlich von 160 Grossrät:innen 159 mitbetroffen sind, weil sie die umständliche Fahrt täglich miterleben können.»

Gewöhn dich dran! Nicht nur an uns Menschen mit Behinderung, sondern auch daran, mit den Barrieren und Hindernissen, die uns den Weg versperren, konfrontiert zu werden. Politische Teilhabe – Teilhabe insgesamt – heisst auch: Hindernisse so sichtbar machen, dass niemand mehr daran vorbeikommt. Lassen Sie uns die 80% Menschen ohne Behinderung zu Mitbetroffenen machen. Nur so gelingt Inklusion. Faut t’y faire!

Ihnen wünsche ich eine mutige Delegiertenversammlung, die aus ihrer Vielfalt schöpft.

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